Virtuelle Teams führen – Erfahrungsbericht

Virtuelle Teams führen – Erfahrungsbericht

Ein Interview mit mir in meiner Rolle als Führungspersönlichkeit zu der neuen Situation, wie Teams virtuell geführt werden können und, was das für Führung bedeutet.

Was war deine Reaktion /Wahrnehmung auf die Veränderung durch Corona und, dass du deine Mitarbeiter*innen ins Homeoffice schicken mussten? Hattest du Sorgen oder Ängste?

Für mich lag am Anfang vor allem der Fokus darauf, die gute Verbindung, die wir bereits vor der Pandemie hatten, aufrecht zu erhalten. Einer unserer Erfolgsfaktoren ist, dass wir durch unseren engen und regelmäßigen Austausch gut abgestimmt sind und schnell reagieren können. Wir machen in unserem Team auch sehr viele Angebote und Inhalte, die für die ganze Organisation relevant sind. Von daher ist unser Austausch im Team sehr wichtig und unsere Grundlage. Um dies auch virtuell zu gewährleisten, haben wir im Team den Vorschlag erarbeitet, dass wir uns zwei Mal in der Woche virtuell treffen und uns austauschen. Diese Termine sind jedoch nicht nur fachlicher Natur, sondern auch das Persönliche soll Raum bekommen. So, wie es im Büro sonst auch sein darf. Letzteres war mir sogar noch etwas wichtiger, da die Situation für uns alle neu war und ich gerne mitbekommen wollte, wenn persönliche Themen aufkommen oder sich verändern.  
Insgesamt war die Umstellung auf die remote Arbeit im Homeoffice sehr positiv. Gerade zum Anfang war ja auch klar, wofür diese Umstellung wichtig war: nämlich für den gegenseitigen Schutz aller Teile der Bevölkerung. Es gab also einen guten Grund für das Homeoffice und ein gemeinsames Ziel. Auf unsere interne Aufgabe bezogen, haben wir uns auch sehr darüber gefreut, dass wir die neue Situation für alle Kolleg*inn*en im Team mit den von uns bereitgestellten Tools, Apps und Methoden schnell und pragmatisch unterstützen konnten. Dabei sind wir gemeinsam sehr lösungsorientiert vorgegangen. Da wir im Vorfeld im Team sowieso schon sehr selbstorganisiert gearbeitet haben, hatte ich auch keine Sorge, dass wir arbeitsunfähig sind. Ich könnte mir vorstellen, dass dieses hohe Maß an Organisation für andere Führungskräfte oder Teams eine Herausforderung dargestellt hat. Wir hatten einfach schon super Voraussetzungen.

Meiner Einschätzung nach, gab es viele Teams und Organisationen, die genauso wie wir agiert haben und sich gut umstellen konnten. Bei einem anderen großen Teil haben ich aber – gerade auch zu Beginn – einige Sorgen wahrgenommen, ob die Mitarbeiter von Zuhause auch weiterhin arbeiten und produktiv sind. Den Gedanken darf man nicht als böse deklarieren, weil es für viele eine neue Situation war und bisherige Arbeitsweisen teilweise komplett auf den Kopf gestellt wurden. Ich habe die Grundeinstellung, dass wenn ein*e Mitarbeiter*in vor Ort gut arbeitet, motiviert ist und mitgestalten kann, dies auch Zuhause weiterhin tun wird. Aber wenn er/sie Zuhause nicht gut arbeitet, dann war das vorher vor Ort wahrscheinlich auch schon so. Ich denke die Frage der Effizienz und Effektivität ist durch die Pandemie einfach nochmal mehr ans Tageslicht gekommen.

Wie war die Reaktion deiner Mitarbeiter*innen auf diese Veränderung?

Das Team hat die Veränderung als Unterstützung und den Schutz aller an erster Stelle gesehen. Mittlerweile kommen auch noch weitere positiven Begleiterscheinungen dazu. Durch unsere sonst sehr dynamischen, vernetzten und kreativen Arbeitsweisen, fiel uns der Ausgleich für konzeptionelle Bearbeitung und Nacharbeiten im Büro teilweise noch etwas schwer. Meine Mitarbeiter*innen können nun diese Themen im Homeoffice viel besser abarbeiten und sind dann auch effektiver. Ausschließlich im Homeoffice zu arbeiten, macht für uns aber auf lange Sicht keinen Sinn. Wir haben gut erkannt, welche Vorteile es bietet und kommen auch gerne wieder ins Büro.

Ich könnte mir sogar vorstellen, dass die Menschen nach der Pandemie erstmal wieder in das eine Extrem verfallen. Nämlich, dass alle endlich wieder im Büro zusammenkommen möchten und das auch rege nutzen werden. Dauerhaft dürfen Unternehmen dann gemeinsam mit den Mitarbeitern schauen, wie die Zusammenarbeit in einen neuen, anderen Flow kommen kann und wie sich dies mit Präsenz und Homeoffice kombinieren lässt.

Hast du an deinem Führungsverhalten etwas geändert? Wenn ja, was?

Wir haben uns stark mit unseren Zielen, Rollen und Werten auseinandergesetzt. Der Rahmen sollte für alle klar sein, vor allem für die nächste, eher unbeständige Zeit. Vor allem die Werte für unsere Zusammenarbeit im Team und die verschiedenen Rollen durften klar sein. Wir brauchten einen gemeinsam gestalteten und transparenten Rahmen, an dem wir uns orientieren konnten und das auch heute noch tun. Fragen wie: Wofür gibt es uns? Was ist unser Antrieb? Welche Probleme lösen wir und was brauch es dazu? Damit haben wir uns im letzten Jahr immer wieder beschäftigt und die Themen weiterentwickelt.

Dazu fanden regelmäßige Team-Reviews und Retros statt, um zu prüfen, ob das was wir uns vorgenommen haben, auch funktioniert hat. Und vor allem daraus zu lernen und zu überlegen, was wir noch besser und anders machen können. Zudem haben wir uns in allen virtuellen Meetings auch Zeit zum Quatschen eingeplant. Der Mensch als Ganzes wurde betrachtet und nochmal stärker in den Fokus gerückt.

Aus diesen ganzen Formaten und Methoden sind auch viele neue Ideen entstanden. Also, ich fand das sehr cool! Und was sehr wichtig ist: Wir haben den Veränderungen Zeit gelassen. Jeder konnte sich in seinem Tempo und mit seinen individuellen Themen einfinden.

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Woran würdest du merken dass dir hybride Führung gut gelingt? Was würdest du anderen, neuen Führungskräften empfehlen, damit diese gut virtuell und hybrid führen können?

Ich glaube, dass Führungskräfte häufig nach dem Motto „Der beste Indianer wird zum Häuptling“ ausgewählt werden. Der oder die mit den meisten fachlichen Kompetenzen, wird Führungskraft. Und diese sind dann auch häufig selbst in den Projekten und fachlichen Themen involviert. Doch in der hybriden und neuen Arbeitswelt geht es meiner Einschätzung nach um ein anderes Rollenverständnis von Führung, als wir das vielleicht noch aus der „alten Welt“ kennen. Es geht mehr darum, einen Sinn für die Tätigkeiten zu schaffen, Identifikation und auch Selbstorganisation zu ermöglichen, Ziele gemeinsam zu definieren sowie Transparenz über die Vorhaben und Zusammenhänge zu ermöglichen, damit Mitarbeiter*inn*en auch selbst Entscheidungen treffen können und arbeitsfähig sind.

Generell bin ich dafür, dass jeder authentisch führen sollte, so wie es zu ihm, seinem Team und den Aufgaben passt. Trotzdem braucht eine Organisation meiner Einschätzung nach ein einheitliches Verständnis von Führung bzw. Leadership.

Um die eigene Arbeit gut einschätzen zu können und zu wissen, was das Team noch braucht, sollten sich Führungskräfte regelmäßig Gedanken machen, Feedback im Team einholen und auch Einzelgespräche führen. Wer fragt, der führt.

Dies bedeutet auf das hybride Führen bezogen, dass das eigene Führungsverhalten nicht einfach nur eins zu eins ins Virtuelle übersetzt werden sollte. Vielmehr darf man einige Punkte intensivieren. Auf Grund der Resonanzarmut im virtuellen Raum, bekommt man gar nicht mehr alles direkt mit. Deswegen ist es wichtig, gerade im virtuellen Raum, mehr Interaktion und Rückkopplung einzubauen, statt den Fokus auf den Inhalt zu setzen. Dies kann bspw. durch die gemeinsame Erarbeitung an einem digitalen Board, Stimmungsabfragen im Chat, Handzeichen, per Mentimeter, etc. gestaltet werden.

Was braucht man in einer Organisation, damit das gelingt?

Die Organisation sollte entscheiden, ob ein gemeinsamer neuer Anspruch an Führung wirklich und „in Echt“ gewollt ist. Dabei müssen aktuelle Führungskräfte sagen dürfen, dass sie die Veränderung für sich nicht wollen und die Organisation eine fachliche Karrierelaufbahnen als Alternative anbieten. Denn nicht Jeder fühlt sich gut mit dem Gedanken, den beruflichen Fokus raus aus der Fachlichkeit und rein in die Weiterentwicklung und Unterstützung von Menschen bzw. Teams zu setzen. Das ist ein anderer Schwerpunkt, der andere Skills benötigt und weniger oder mehr wert ist. Ich denke, dass es Beides und optimalerweise sogar Beides in Kombination braucht.

Dafür ist es hilfreich, vorhandene Hierarchien zu überdenken. Vielleicht könnte man überlegen, ob es nicht geteilte Führungsrollen geben kann. Eine Rolle, die das Coaching und Mentoring übernimmt, und eine weitere Rolle, die das Fachliche abbildet. Dabei steht auch weiterhin im Fokus, die Teams effektiv und effizient zu halten. Um jedoch noch mehr in die Selbstorganisation gehen zu können, braucht man einen Rahmen und darf Sinnhaftigkeit sowie Nutzen vermitteln. Selbstorganisation heißt nicht, sich selbst überlassen sein. Man braucht immer jemanden, der im Blick behält, wie es läuft. Man braucht jemanden der das Team und die Menschen zusammenhält.

Vielen Dank an Elena Ndoye für die tolle Durchführung dieses Interviews im Rahmen ihrer Bachelorarbeit für die Soennecken eG.